Hunderttausende sind betroffen
Zugleich machte sie das Ausmaß des Problems deutlich: „Wir sind viele. Die 8.300
Menschen auf der Warteliste sind nur die Spitze des Eisbergs. In Deutschland gibt es etwa
100.000 Dialysepatient*innen. Während in Spanien weit über 50% von ihnen transplantiert
werden, sind es in Deutschland nur ca. 20%. Schätzungsweise 30.000 bis 50.000
Nierenkranken könnte mit einer Transplantation geholfen werden. Ein Großteil wird aber gar
nicht gelistet, obwohl jeder Betroffene grundsätzlich einen Anspruch darauf hat. Hinzu
kommen Patient*innen, die ein Herz, eine Leber oder eine Lunge brauchen. Auch die vielen
Angehörigen leiden massiv.“
„Wir werden dafür sorgen, dass die katastrophale Situation der Patient*innen auch in der
nächsten Legislaturperiode wieder auf der politischen Tagesordnung steht“, betont
ProTransplant-Sprecher Mario Rosa-Bian. „Das immer wieder beschworene Vertrauen, wie
soll es hergestellt werden in ein System, das nicht funktioniert? Wir freuen uns, dass
Bündnis 90/Die Grünen die Widerspruchsregelung inzwischen als Ziel in ihr aktuelles
Wahlprogramm aufgenommen haben. Dies zeigt: ein Umdenken ist möglich.“
Keine neuen Gegenargumente
Die in der Anhörung vorgebrachten Gegenargumente waren nicht neu. Zum Teil wird die
Diskussion auf hochakademischem Niveau geführt, weit weg von den realen Problemen der
Patient*innen. Die wissenschaftliche Evidenz zur Widerspruchsregelung aus anderen
Ländern ist widersprüchlich. Klar ist jedoch, dass die Zahlen in all diesen Ländern eklatant
besser sind als in Deutschland. Zudem sind keine Daten bekannt, die zeigen würden, dass
die Einführung der Widerspruchsregelung Schaden angerichtet hätte. Es gibt kein einziges
Land in Europa, das auf die in Deutschland geltende Zustimmungsregelung umgestellt hat.
Patient*innen nicht gegeneinander ausspielen
„Als besonders beschämend empfinden wir, wie versucht wird, das Leid der
Wartpatient*innen zu relativieren, indem der Fokus auf andere ‚vulnerable Gruppen‘ gelenkt
wird“, betont Rosa-Bian. „All die in der Anhörung angeführten Sonderfälle können im
Gesetzentwurf sehr leicht berücksichtigt werden. Zum Teil ist dies auch schon der Fall.
Erstaunt nehmen wir auch zur Kenntnis, dass diejenigen, die sich an anderer Stelle lautstark
für den Schutz des Lebens starkmachen, in der Debatte über die Widerspruchsregelung vor
allem an der Seite von Toten stehen.
“
Wenig konstruktive Vorschläge
Zudem mangelt es an neuen Vorschlägen, wie die Situation verbessert werden könnte, was dazu führt, dass mittlerweile offenbar sogar über „eine Art Organhandel in regulierter Form“ nachgedacht wird, um die Widerspruchsregelung zu umgehen. „Für zielführende Maßnahmen sind wir offen. Deshalb wird die berechtigte Forderung, die Strukturen in den Kliniken weiter zu optimieren, von uns selbstverständlich und nachdrücklich unterstützt: Wir brauchen mehr Transplantationsbeauftragte und vielleicht auch ein Transplantationssystem in staatlicher Verantwortung. Nichts zu tun ist jedoch keine Option“, so Rosa-Bian.
Umso mehr bestürzt es, dass etwa von der theologischen Ethik gefordert wird, weiter zu warten, ob die 2019 und 2020 beschlossenen Maßnahmen vielleicht doch noch irgendwann Wirkung zeigen. Wie wirkt ein solcher Vorschlag auf Schwerkranke, deren Hauptproblem darin besteht, auf eine lebensrettende Therapie zu lange warten zu müssen? Wie lange sollen sie noch warten? Die Antwort in Deutschland lautet derzeit: Im Zweifel bis zum Tod.