Mehr als 9.500 PatientInnen warten auf ein Spenderorgan, davon 7.400 auf eine Niere. Die Wartezeit ist hier mittlerweile auf 8 bis 11 Jahre angestiegen, in anderen Ländern sind es weniger als 4. PatientInnen müssen von der Warteliste genommen werden, weil sich ihr Gesundheitszustand aufgrund der langen Wartezeit so verschlechtert, dass sie nicht mehr für eine Transplantation infrage kommen. Andere „Abgänge“, wie es im Jahresbericht der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) heißt, erfolgen, weil PatientInnen sterben, bevor das lebensrettende Organ da ist. Bei PatientInnen mit terminaler Niereninsuffizienz (ESRD) ist das jede/r fünfte. [1]
Unter dem Aspekt der Lebensverlängerung und der Lebensqualität ist die Transplantation für geeignete ESRD-PatientInnen die optimale Behandlungsform. [2,3] Ihre Lebenserwartung beträgt bei mittlerem Alter mit einer Dialyse 10 Jahre, während sie mit einer Organtransplantation dreimal so hoch ist, nämlich knapp 30 Jahre. [4] Im europäischen Vergleich werden in Deutschland aber überproportional viele PatientInnen mit Dialyse behandelt statt durch eine Organtransplantation. [5] Welche Nierenersatztherapie hätten Sie gern, wenn Sie selbst betroffen wären?
Das 2019 verabschiedete Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende hat bisher nicht zu einer Trendwende geführt. Es ist zu befürchten, dass auch das 2020 verabschiedete Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende die Situation nicht wesentlich verbessern wird. Stand jetzt ist die Zahl der postmortalen Organspenden weiter zurückgegangen. Es geht jetzt um Schadensbegrenzung. Daher müssen beide Gesetze in der neuen Legislaturperiode evaluiert und gegebenenfalls angepasst und ergänzt werden.
Um die anhaltend schlechten Zahlen zu relativieren, wird vielfach auf die Corona-Pandemie hingewiesen. Dies ist als Begründung inakzeptabel. Vielmehr muss die Politik Rahmenbedingungen dann so anpassen, dass die Transplantationsmedizin nicht noch weiter beeinträchtigt wird. Übersehen wird auch gern, dass sich das Problem durch Corona noch weiter zuspitzt. Mediziner gehen davon aus, dass die Zahl der PatientInnen mit bleibenden Organschäden, besonders an den Nieren, infolge einer Infektion zunimmt. [6]
Das beschlossene Online-Register wird den Notstand nicht wirksam und schon gar nicht kurzfristig beheben. Dies hätte man aus den Erfahrungen anderer Länder wissen können: So hatten sich in der Schweiz gut ein Jahr nach der Initiierung des Registers gerade einmal 1% der Personen über 16 Jahren eingetragen. [7] Das Parlament hat dort schnell und pragmatisch auf den anhaltenden Organmangel reagiert und plant die Einführung einer erweiterten Widerspruchsregelung. Wir fordern eine transparente Information, wie die Abläufe konkret ausgestaltet werden sollen und wer dafür verantwortlich ist. Welche Maßnahmen werden wann in Kraft treten, um die Bevölkerung breit aufzuklären? Wie wird die elektronische Patientenakte integriert?
Mit der Ablehnung einer doppelten Widerspruchregelung haben sich die Abgeordneten, insbesondere von Bündnis 90/Die GRÜNEN, der FDP und der AfD, über die mehrheitliche Überzeugung der Bevölkerung und die Empfehlung der Ärzteschaft sowie medizinischer Fachgesellschaften hinweggesetzt. Die jüngsten Ergebnisse im Rahmen der Abstimmung21 bestätigen erneut: 70% der Menschen, die sich beteiligt haben, sprechen sich für eine Widerspruchsregelung aus. Warum wird diese klare Position der Bevölkerung von unseren Abgeordneten ignoriert? Notgedrungen gehen politische Bestrebungen jetzt vermehrt dahin, mehr Lebendspender zu aquirieren. Dadurch entsteht verstärkt Druck auf Familienangehörige. Dieser Druck kann um einiges schwerer wiegen als der, eine Entscheidung über eine potentielle Organspende nach dem Tod abzugeben. Wir fordern daher eine Erweiterung der geltenden Regelung auf eine verpflichtende Entscheidung.
Sie, liebe Abgeordnete, geben sich als überzeugte Europäer. Lassen Sie den Worten Taten folgen: Ergreifen Sie die Initiative für eine gesamteuropäische, solidarische Regelung der Organspende. Dann wären deutsche PatientInnen nicht mehr auf andere Länder angewiesen, in denen die Organspende erfolgreicher geregelt ist. Auch der entwürdigende „Transplantationstourismus“ von PatientInnen aus Deutschland wäre dann nicht mehr notwendig.
Wir vertreten folgende Vereine und Initiativen:
HLTX e.V. Leipzig
transplantiert e.V.
Transdia Sport Deutschland e.V.
Gegen den Tod auf der Organ-Warteliste e.V.
JEMAH e.V.
Junge Helden e.V.
I.G. Niere NRW e.V.
Organtransplantierte Ostfriesland e.V.
Transplant Kids e.V.
Leben Spenden! e.V.
Selbsthilfe Organtransplantierter NRW e.V.
PKD-Familiäre Zystennieren e.V.
Regionalgruppe Osnabrück des Landesverbandes Niere Niedersachsen e.V. Nierenselbsthilfe Hamburg e.V.
Initiative Menschen auf der Warteliste bei Eurotransplant
Quellen:
[1] Jahresbericht 2020 der DSO; https://dso.de/SiteCollectionDocuments/DSO- Jahresbericht%202020.pdf (Abruf am 3.11.2021)
[2] Zhang L, et al. Rev Assoc Med Bras (1992). 2020;66(9):1229-34
[3] Krishnan A, et al. Kidney Int Rep. 2020;5(12):2264-74
[4] USRDS Annual Date Report 2020; https://adr.usrds.org/2020 (Abruf am
2.11.2021)
[5] Stel VS, et al. Kidney Int. 2021;100(1):182-95
[6] Pressemeldung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie e.V. (DGfN) vom
2.6.2021; https://idw-online.de/de/news770034
[7] Ein Jahr nach dem Start des Online-Registers: Nationales Organspenderegister –
wo stehen wir heute? Schweiz Ärzteztg. 2020;101(04):94-97 (Abruf am 6.11.2021)
Mario A. Rosa-Bian
Zazie Knepper