Dieser Brief wurde am Mittwoch, dem 01.03.2023 um 12.00 Uhr im Bundesministerium für Gesundheit, Mauerstraße 29 in Berlin übergeben.



Deutschen Irrweg in der Organspendepolitik beenden

Katastrophale Bilanz nach 3 Jahren neuer Gesetzgebung

Sehr geehrter Herr Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach, sehr geehrte Damen und Herren Gesundheitsminister*innen der Bundesländer, sehr geehrte Damen und Herren Bundestagsabgeordnete!

Laut Grundgesetz Artikel 2 hat jeder Mensch das Recht auf Leben. Dies gilt offenbar nicht für die Patient*innen auf der Warteliste für eine Organspende. Drei Jahre nach Abstimmung des Bundestages über die neue Gesetzgebung beklagen wir weitere 3.000 Verstorbene, die mit einer Organspende hätten gerettet werden können. Statt der erhofften Verdopplung der Organspendezahlen erleben wir einen schlimmeren Absturz als je zuvor. In einem der reichsten Länder der Welt gelingt es nicht, die betroffenen Patient*innen medizinisch angemessen zu versorgen. Der deutsche Irrweg in der Organspendepolitik ist endgültig in eine Sackgasse geraten. 

Wir fordern eine radikale Umkehr mit folgenden Maßnahmen:
1. Doppelte Widerspruchsregelung

Viele Expert*innen haben 2020 vor einem verkappten „Weiter so“ in Form der Entscheidungsregelung gewarnt – sie wurden nicht gehört. Übergangen wurden die Bevölkerung und die Anhänger*innen aller demokratischen Parteien, die mehrheitlich hinter einer Widerspruchsregelung (WSR) stehen. Ein Opt-out-Modell ist kostengünstig, stärkt die Patient*innenautonomie und entlastet die Angehörigen. In 29 von 35 europäischen Ländern gilt es bereits oder wird eingeführt.1 Neu ist, dass Bündnis 90/Die Grünen auf ihrem Bundesparteitag im Oktober 2022 beschlossen haben, die WSR endlich auch in Deutschland einzuführen.² Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) spricht sich angesichts der katastrophalen Situation ebenso dafür aus wie der Bundesverband Niere e.V.³ Auch von allen relevanten medizinischen Fachgesellschaften und dem Nationalen Ethikrat wird die WSR befürwortet.⁴ Deutschland „importiert“ hunderte Organe/Jahr aus den Eurotransplant-Partnerländern; in all diesen Ländern gilt die WSR.⁵

2. Reform der Organisations-Strukturen und Prozesse in der Organspende

Die zentralen Probleme des deutschen Gesundheitssystems wirken sich auch auf die Organ- und Gewebespende aus. Aus Sicht der Transplantationsbeauftragten stehen Personalmangel in der Pflege und bei den Ärzt*innen sowie fehlende Kapazitäten an Intensivbetten ganz oben auf der Liste der Ursachen der Missstände.⁶ Diese Defizite sind so gravierend, dass nicht immer die Möglichkeit einer Organspende geklärt wird, eine infauste Prognose zur vorzeitigen Therapielimitierung führt und die verbesserte Vergütung von Organentnahmen nicht greift. Die Erkennung möglicher Spender*innen mithilfe digitaler Tools (z.B. das DETECT-Programm) muss Teil der Routineversorgung werden.

3. Organspende nach Kreislauftod

In Deutschland sind Organspenden nur nach Hirntod möglich. In den meisten anderen europäischen Ländern kann auch nach Kreislauftod (Donation after circulatory Death; DCD) gespendet werden, was dort zu mehr Organspenden geführt hat.⁶ ⁷ Daraus ergibt sich eine paradoxe Situation: Organe von Menschen, die aufgrund von Kreislaufversagen gestorben sind, dürfen deutschen Wartepatient*innen von Eurotransplant nicht vermittelt werden. DCD gilt bereits in 17 europäischen Ländern, in 8 Ländern ist die Einführung geplant – warum nicht in Deutschland?⁶ 

4. Crossover- und Ketten-Lebendspende

Auch die Crossover-Lebendspende muss - wie in den europäischen Nachbarstaaten - endlich in Deutschland etabliert werden. Wenn eine Lebendorganspende zwischen Personen, die Organe spenden dürfen, aus medizinischen Gründen nicht infrage kommt, soll es ermöglicht werden, ein solches Spender*innen-Empfänger*innen-Paar mit weiteren geeigneten Paaren anonym zusammenzubringen und Lebendorganspenden kreuz- und kettenweise durchzuführen.

5. Altruistische Organspende

Lebendspenden einer Niere sind in Deutschland auf einen eng gefassten familiären oder Freundes-Empfängerkreis beschränkt. Bei einer altruistischen Spende wäre es möglich, dass eine Person eine Niere freiwillig und unentgeltlich an eine unbekannte Person spendet.

Politischen Willen zeigen

In Deutschland fehlt es an einer Kultur der Organspende. Angesichts einer sehr hohen Organspende-Bereitschaft in der Bevölkerung erwarten wir von unseren Politikern Haltung.⁸ Wer von Ethik spricht und gleichzeitig tatenlos zusieht, wie jeden Tag drei Patient*innen auf der Warteliste sterben, handelt nicht ethisch. Die Politik muss sich bekennen, indem sie das von der breiten Mehrheit der Bevölkerung und von allen Expert*innen erwünschte Verhalten zum Wohle aller durch die Umsetzung der o.g. Punkte 1-5 gesetzgeberisch beschließt. Neben diesen Forderungen sollten Menschen, die postmortal Organe gespendet haben, besser gewürdigt werden, beispielsweise indem der Staat die Bestattungskosten übernimmt.

Setzen Sie die weltweit bekannten und bewährten Erfolgskonzepte endlich um!

Die Unterzeichner

  • ADTKD Vision Cure

  • AKTX Pflege e.V.

  • Berg und Tal e.V.

  • Bundesverband der Organtransplantierten e.V.
  • Bundesverband zur Begleitung von Familien vorgeburtlich erkrankter Kinder e.V.
  • Dialyse Rostock e.V.
  • Die Peritoneal Dialyse e.V.
  • Gegen den Tod auf der Organ-Warteliste e.V.
  • Heim Dialyse Patienten e.V.
  • Hilfsgemeinschaft der Dialysepatienten und Transplantierten Freising e.V.
  • Hilfsgemeinschaft Dialysepatienten und Transplantierte Regensburg/ Straubing e.V.
  • HLTX e.V. - Verein für Herz-Lungen- Transplantation Leipzig

  • IG Niere NRW e.V.

  • IG Niere Rhein-Ahr-Eifel e.V.
  • Initiative Menschen auf der Warteliste bei Eurotransplant
  • Junge Helden e.V.
  • Junge Nierenkranke Deutschland e.V.
  • Leben spenden e.V.
  • Landesverband Niere Bayern e.V.
  • Nephthi-N - Das Nephronophthise-Netzwerk
  • Netzwerk Organspende NRW e.V.
  • Nierenkinder Berlin-Brandenburg e.V.
  • Organtransplantierte Ostfriesland e.V.
  • Regionalgruppe Osnabrück Landesverband Niere Niedersachsen e.V.
  • PKD Familiäre Zystennieren e.V.
  • Selbsthilfe Organtransplantierter NRW e.V.
  • Stiftung Über Leben
  • Verein Leberkrankes Kind e.V.
  • Transplantiert e.V.
  • Transplant Kids e.V.
  • DaVita Deutschland AG
  • Deutsche Akademie für Transplantationsmedizin
  • Deutsche Gesellschaft für Chirurgie
  • Deutsche Gesellschaft für Kardiologie, Herz- und Kreislaufforschung e.V.
  • Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie
  • Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie
  • Deutsche Transplantationsgesellschaft
  • Deutsche Gesellschaft für Urologie
  • ERKNet
    The European Rare Kidney Disease Reference Network
  • European Kidney Health Alliance

  • Gesellschaft für Pädiatrische Nephrologie (GPN) e.V.
  • KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation e.V.
  • DIATRA-Verlag, Mainz
  • Univ.-Prof. Dr. med. Bernhard Banas, MBA, Leiter Abteilung für Nephrologie, Leiter Universitäres Transplantationszentrum Universitätsklinikum Regensburg
  • Prof. (Univ. Lima) Dr. Bauer MdL, Patienten- und Pflegebeauftragter der Bayerischen Staatsregierung www.patientenportal.bayern.de
  • Professor Dr. Rainer Blasczyk, Medizinische Hochschule Hannover
  • Dr. Fritz Diekmann, Leiter/ Direktor des Nierentransplantationsprogramms Hospital Clínic, Ass. Prof Universität Barcelona
  • Prof. Dr. K.-U. Eckardt, Klinikdirektor, Medizinische Klinik m.S. Nephrologie und Intensivmedizin Campus Virchow Klinikum
  • Prof. Dr. Ulrich Frei, Ehem. Vorstand Krankenversorgung, Charité Universitätsmedizin Berlin
  • P. Klaus Schäfer SAC, Klinikseelsorger, Universitätsklinik Regensburg
  • Prof. Dr. med. Claudia Schmidtke, MBA, Sprecherin Universitäres Herzzentrum Lübeck (UHZL), Ehemalige Patientenbeauftragte der Bundesregierung 2019-2021
  • Daniel Schrader, nicht-ärztlicher Transplantationsbeauftragter, Universitätsklinikum Düsseldorf
  • Dr. Ebru Yildiz, Westdeutsches Zentrum für Organtransplantationen, Universitätsmedizin Essen
Hier können Sie den Brief downloaden:
Kontakt:

Zazie Knepper, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Mario Rosa-Bian, IG Niere NRW e.V., Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Ute Opper, transplantiert e.V., Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Bündnis von aktiven Selbsthilfevereinen
im Bereich Transplantation & Organspende
Social Media

Kontakt

  • Mario A. Rosa-Bian
    Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

  • Zazie Knepper
    Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

© All rights reserved.
Made with ❤️ by Office4net.